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Schmerzskala.

Mit Hilfe der Schmerzskala sollen Schmerzpatient_innen ihre Pein selbst einschätzen. Und hier liegt die Krux: Die Skala ist weder objektiv noch allgemeingültig.

Die Schmerzskala läuft von 0 = schmerzfrei bis 10 = maximal möglicher Schmerz. So einfach, so willkürlich. Zwar gibt es Allgemeinplätze wie „nichts ist schlimmer als Trigeminusneuralgie“, aber erklären Sie das einem Krebspatienten. Oder einem Kind, das sich verbrüht hat. Schmerz ist eine sehr subjektive Angelegenheit, Schmerzwahrnehmung ebenso. Dennoch ist es für die behandelnden Personen – egal ob als Facharzt oder Hausärztin – wichtig, den Schmerz einschätzen zu können. Denn Messgeräte dafür gibt es nicht, als Patient_in hätte man trotzdem gerne eine wirksame Schmerztherapie. Das heißt: keine zu heftigen Hämmer wenn unnötig, nicht zu schwache Mittel wenn mehr erforderlich.

Deshalb die Skala. Wenn jemand sagt: zehn! dann ist es der schlimmste Schmerz, den die Patient_in sich vorstellen kann. Gibt man eine vier oder fünf an wird’s zwar schmerzhaft, aber noch nicht sooo wild sein.

Wer jetzt meint, die Ansage sei entsprechend einfach in die Behandlungstat umzusetzen, der irrt. Besonders dann, wenn man einen Arzt abbekommt, der auch im Militär oder in Notaufnahmen tätig ist: „Schreit noch, der kann warten“. Altes Prinzip der Triage.

Ein kopftechnisches Abziehen von Schmerzpunkten geschieht oft auch dann, wenn man als Mann vorstellig wird. Männer mögen sich zwar kulturell gezwungen fühlen, als „Indianer“ keinen Schmerz „zu kennen“ – man würde also meinen, dass es schlimmer ist, als er zugeben mag. Aber das Schauspiel lässt Männer oft noch wehleidiger erscheinen als wenn sie’s einfach lassen würden. Also wird die Schmerzskala zwei, drei Stufen runtergeschraubt, zusätzlich zum oben erwähnten Punkteabzug für „So schlimm kann’s nicht sein, wenn das Bein noch dran ist“.

Bessere Voraussetzungen hat man also dann, wenn sich etwas vorzeigen lässt. So ein doll angeschwollenes Zehengelenk oder ein rot-glühender Ellenbogen bewirken bereits einiges. Menschen mit Fibromyalgie oder einem Schleudertrauma haben da mehr Probleme; im zweiten Fall ist Skepsis leider gar vom Bundesgericht in Sachen Invalidenversicherung abgesegnet worden.

Meine persönliche Schmerzskala sieht in etwa so aus:

1–2: Nun ja, könnte besser sein.
3–5: Ich jammere.
6–7: Es tut echt weh, echt jetzt.
8–9: Es tut höllisch weh, aber ich kann mich noch übergeben und zwischendurch brabbeln.
10: Ohnmächtig oder im Delirium.

Wichtig ist, dass Behandelnde und Behandelte sich auf eine Skala einigen, dieselbe Schmerzsprache sprechen. Wenn man sein medizinisches Personal nicht häufiger wechselt als den Wohnort sollte das spätestens nach ein, zwei Kotzattacken erledigt sein.

Von Sekundärschmerzen und Körpergefühl.

Für mich mühsamer als die eigentlichen Rheuma-Schmerzen sind die Begleiterscheinungen. Ich nenne sie Sekundärschmerzen. Auch wenn sie nur auf den ersten Blick weniger heftig sind.

Sekundärschmerzen entstehen als Reaktion darauf, wie man mit dem eigentlichen Schmerzschub umgeht. Egal, wie vollgepumpt mit Medikamenten ich bin, es tut noch immer weh. Also vermeide ich automatisch bestimmte Bewegungen und überlaste so andere Teile meines Körpers. Oder nach ein, zwei Wochen auf Schmerzmitteln meldet sich der Magen mit übertriebener Säureproduktion. Oder das ständige Gehumpel an der Krücke erzeugt Muskelkater. Und so weiter, und so fort.

Bei mir sieht’s glücklicherweise noch recht unproblematisch aus. Zieht sich das aber über Jahrzehnte können die Sekundärschmerzen chronisch und damit zu einem echten Problem werden. Dabei sind sie am Anfang wichtige Warnzeichen. Das Perfide ist die Kombination aus Rheuma und Schmerzmitteln.

  • Hat man noch kein Schmerzmittel genommen oder ist falsch eingestellt überdeckt das Rheuma den Sekundärschmerz. Eine 2 auf der Schmerzskala geht im Lärm der schreienden 7 unter.
  • Ist man sauber eingestellt und/oder im Land der Wattebällchen wird oft auch der Sekundärschmerz so weit gedämpft, dass man ihn nicht mehr ernst nimmt. Das gilt besonders bei Akuttherapie mit Morphinen.

Das Ergebnis ist dasselbe. Der rheumatische Schub verschleiert mit jeder Wiederholung größer werdende Nebenbaustellen. Und wenn man nicht aufpasst werden diese zum Dauerzustand, in dem das Rheuma nur noch einen Gastauftritt hat.

Gefragt ist Körpergefühl. Der vielleicht wichtigste Punkt für Menschen, die sich schon jung mit rheumatischen Erkrankungen herumschlagen dürfen: So schnell wie möglich memorieren, wie sich der Körper ohne Schmerz anfühlt und bewegt. Das hilft auch beim Kampf gegen das Schmerzgedächtnis, dem ich einen eigenen Artikel widmen werde.

Also – bewusst beobachten, wie man sitzt, geht, Taschen trägt, rumsteht, duscht, aus dem Bett steigt, den Stift hält und so weiter. Seitdem ich lernte, wie ich mich im Modus „schmerzfrei“ bewege fällt es mir auch leichter, Fehler während eines Rheuma-Schubs zu erkennen.

Dann innehalten: Weshalb genau stehe ich jetzt schief? Ah, die zusammenschiebbare Krücke ist etwas zu lang ausgezogen und ich strecke das Bein mit dem Scheißfuß aus. Darf nicht sein, sonst habe ich morgen auch noch eine Zerrung im anderen Bein und im Rücken, deren Entstehen von den Schmerzmitteln übertünkt wird.

Ich muss zugeben, dass mir hier neben dem Physiotherapeuten das … Achtung … Wii Balance Board die größte Hilfe war. Ja, ich weiß wie das klingt, aber das ist weder eine Werbeeinblendung noch ein misslungener Witz. Ich bin mir sicher, dass es solche Geräte auch von anderen Herstellern gibt, aber hier steht halt eine Wii rum. Item.

Der Punkt ist: So ein Brett zeigt einem ob man gerade steht, wo der Schwerpunkt liegt. Und mit den ganzen dazu passenden Spielen wurde ich mir bewusster, welche Bewegungen noch „ausbalanciert“ waren und welche nicht. Und wie sich mein Körper dabei in mehr oder weniger lustigen Kontorsionen befand. Das herumhüpfende und ein wenig hysterische Comic-Dingens, das sich Trainer nennt, erweist sich als unerwarteter Motivator. Nur Unmenschen möchten so einen Knuddelpups weinen sehen.

Tänzer_innen können sich solche Investitionen natürlich sparen. Ohne Balance geht da von Haus aus wenig, entsprechend gut sollte auch das Körpergefühl ausgebildet sein.

Das Wissen über den eigenen Normalzustand ist ein unbezahlbarer Vorteil beim Abschätzen, ob man sich zugedröhnt oder schmerzgepeinigt noch weitere Probleme einhandelt. Entsprechend kann ich nur jedem raten: Merkt Euch in guten Zeiten, wie sich euer Körper anfühlt und bewegt. Hat man es einmal gelernt und frischt es regelmäßig auf, dann geht es auch im Tramadol-Rausch nicht verloren.