Ja, ich »darf« alle zwei, drei Jahre ein Leber-Sonogramm über mich ergehen lassen. Und das kostet. Aber kostet es die Krankenkassen mehr, als wenn ich es bleiben lassen und mich schmerztechnisch »zusammenreißen« würde?
Streckbett. Kupferstich, ca.1700. Gemeinfrei.
Die Mehrzahl der üblichen Analgetika schlagen sich auf der Leber nieder. Das ist einer der Gründe, weshalb in so ziemlich allen Beipackzetteln etwas steht à la »Alkoholiker nur unter engmaschiger medizinischer Begleitung!!!«, selbst bei rezeptfreien Medikamenten. Wenn man die Aufgaben der Leber versteht, respektive weshalb sich so ein recht hässliches Organ in den Körpern vornehmlich von Säugetieren herangebildet hat, ist das kein Wunder: Das Dingens ist eine Kläranlage gegen Giftstoffe. Wozu aus Sicht des Organismus neben Alkohol eben auch viele Medikamente gehören. So lange wir keine Gentherapien gegen Erkrankungen von Depression über Schizophrenie bis Krebs und eben auch: Schmerzerkrankungen wie Rheuma haben, wird die Leber bei den potenteren Mitteln automatisch zu rackern beginnen. Und je nach Veranlagung und Glück/Pech auch selbst krank werden.
1x Leber-»Screening« kostet in meinem Kanton mehr, als viele Leute meines Alters über ein Jahrzehnt bei der Hausärztin liegen lassen. Ich drücke also die Gesundheitskosten hoch! Obwohl ich das die letzten zwanzig Jahre wie den Rest meiner Behandlungen immer selbst zahlen durfte, da Franchise nicht voll, aber egal: Es kostet! Ist das wirklich nötig?!
Unterm Strich ja. Denn die Ärztinnen und Ärzte haben drei Möglichkeiten:
- Ein Auge auf mögliche krankhafte Veränderungen bestimmter Organe zu werfen, um frühzeitig darauf reagieren zu können.
- Alleinig aufs Schmerzempfinden der Patienten zu hören und einfach Rezepte zu zeichnen, wenn jemand jammert.
- Besagtes Schmerzempfinden mit eigenen beruflichen Erfahrungen abzugleichen und Medikamente unterzudosieren oder gar zu verweigern.
Den zwei letzten Ansätzen gemein ist: zieht sich die Situation hin, kann man fast nur verlieren, auf Niveau »Gesundheitskosten« und noch viel mehr als Betroffener. Wenn Schmerzen psychosomatisch sind, bringt es auf Dauer wenig, wenn man Morphine verschreibt. Sind sie es nicht, bringt es genau so wenig, wenn man die Betroffenen zudröhnt und nicht überwacht, oder wenn man ihr Leiden nach dem Motto »gehen Sie mal auf eine Krebsstation, DA sehen Sie ECHTES Leiden« herunterspielt. Alles Extremfälle natürlich, als Illustration. Die Bandbreite ist, nun ja, breit.
Ironischerweise ist heutzutage die längerfristig kostengünstigste und für Betroffene angenehmere Lösung: Den Patienten auch diagnostisch zu begleiten. Selbst wenn die Überprüfungen mehr kosten als die gesamte Medikation für mehrere Jahre. Aber um bei meinem Beispiel zu bleiben: Schmerzmittel über ein Jahrzehnt incl. alle zwei Jahre Lebertests sind »billiger« als eine Lebertransplantation, weil man die Kosten einer regelmäßigen Kontrolle gescheut hat. Wobei sich hier die Frage stellt: Wer scheut die Kosten?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass manchen Parteien im Schweizer Parlament die Gesundheitskosten ein Dorn im Auge sind. Denn wegen etwaigen enormen Aufwendungen, die anfallen könnten, muss das Solidaritätsprinzip greifen. Besagte Lebertransplantation könnte der Durchschnittsschweizer kaum aus der eigenen Tasche zahlen, genau so wenig wie seine eigene spätere Demenzbetreuung, oder nur schon einen stationären Aufenthalt »weil man sicher gehen will«. Im letzten Fall sprechen wir von mehreren Tausend Franken pro zwei, drei Tage. Zahlbar innerhalb von 30 Tagen. Viel Spaß.
Ist das schlimm? Zahlen wir als »Allgemeinheit« zu viel? Werden zu viele Diagnoseschritte vorgenommen, das MRI häufiger angeworfen als absolut nötig? Natürlich. Denn neben etwaigen Kosten haben auch die Patienten Interesse daran. Wenn noch vor ein paar Jahrzehnten für einen möglicherweise verstauchten Fuß ein Paar Künzli-Schuhe und Abwarten gereicht haben, wollen Leute heute ein MRI, um abzuklären, ob da was komplett kaputtgegangen sein könnte. Anders rum werden Gallenblasen minimalinvasiv operiert, damit die Patientin nach zwei, drei Tagen wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden kann. Menschen mit Dauerrezepten für Schmerzmittel und Psychopharmaka werden zum Internisten zwecks Leberabklärung geschickt. Und ja, das kostet. Natürlich.
Aber was wäre die Alternative? Geld gespart bei den Abklärungen und angenehmeren Therapien, dafür wird jemand zum Langzeitpflegefall und kostet noch viel mehr? Oder man klappt zusammen und braucht eine neue Leber, obwohl man Antialkoholiker ist? Oder man kann wegen der Rückenschmerzen nicht mehr genug Leistung bringen und verliert den Job? Oder man fängt sich mit der großen Bauchwunde einen so genannten »Krankenhausinfekt« eher ein als wenn teurer minimalinvasiv gearbeitet worden wäre?
… und dann bleibt da noch der Punkt der Lebensqualität der Betroffenen, ganz abseits etwaiger Kosten. Denn darum sollte es beim Gesundheitswesen doch gehen, oder? Die Gesundheit der Betroffenen?
Was ist besser: Jeden Morgen wie Dr. House im Spiegel nachschauen, ob sich schon ein Ikterus unterm Augenlied oder Zahnfleisch versteckt? Oder Zähne zusammenbeißen und die Schmerzen zu ignorieren versuchen, und dabei im Beruf wegen weniger »Leistung« auf der nächsten Abschuss- Reorganisations-Liste eine Top-Position einnehmen?
Oder die möglichen Folgen aktiv im Auge behalten? Und etwaige Folgeerkrankungen so vermeiden versuchen?
Logisch trifft es nicht jeden. Es gibt hundertjährige Kettenraucher genau so wie Menschen, die sich seit Jahrzehnten jeden Morgen ein Aspirin reinpfeifen, ohne an Magengeschwüren zu erkranken. Aber wenn nicht? Dann wird’s nicht nur teuer für das »Gesundheitswesen«. Sondern vor allem unangenehm bis tödlich für die Betroffenen.